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Porsche Active Aerodynamics (PAA)

16.04.2024 Von Tim Kennedy & Richard Lindhorst
Porsche Active Aerodynamics (PAA)

Auf dem Feld der aerodynamischen Entwicklung im Serienfahrzeugbau ist Porsche seit Jahrzehnten führend. Was im Porsche 964 begann ist seit jeher fester Bestandteil aller Serienmodelle vom Typ 911. Was heute unter Porsche Active Aerodynamics (PAA) bekannt ist, entstand im Weissacher Entwicklungszentrum und verhilft besonders den GT-Modellen zu immer beeindruckenderen Rekordrunden auf den Rennstrecken der Welt. Grund genug für uns, die Entwicklung mit ihren einzelnen Entwicklungsschritten für euch nachzuzeichnen.

Für diejenigen, die mit der Terminologie vielleicht nicht vertraut sind: Als Aktive Aerodynamik bezeichnet man im Fahrzeugbau Vorrichtungen, die das Luftströmungsverhalten um das Auto herum – zum Beispiel durch ausfahrbare Spoiler oder verstellbare Lufteinlässe – in verschiedene Richtungen wie weniger Luftwiderstand oder mehr Abtrieb aktiv beeinflussen können.

Das Dilemma der Ingenieure – die richtige Balance zwischen Luftwiderstand und Anpressdruck

„Wir Aerodynamiker stehen normalerweise vor einem Dilemma: Ein niedriger Luftwiderstandsbeiwert ist wünschenswert, um eine höhere Höchstgeschwindigkeit und einen geringeren Kraftstoffverbrauch zu erreichen, während ein hoher Abtrieb für die Fahrdynamik von Vorteil ist. Beide Eigenschaften stehen jedoch im Widerspruch zueinander“, erklärt Dr. Thomas Wiegand, Leiter der Aerodynamik-Entwicklung bei Porsche. „Porsche Active Aerodynamics löst die Konflikte zwischen diesen unterschiedlichen aerodynamischen Zielen auf“, so Wiegand weiter.

Wir Aerodynamiker stehen normalerweise vor einem Dilemma: Ein niedriger Luftwiderstandsbeiwert ist wünschenswert […] während ein hoher Abtrieb für die Fahrdynamik von Vorteil ist. Beide Eigenschaften stehen jedoch im Widerspruch zueinander

Dr Thomas Wiegand, Leiter der Aerodynamik-Entwicklung bei Porsche

Porsche Active Aerodynamics – Erste Entwicklungsstufe im Porsche 964

Ich erinnere mich, wie ich als Teenager einen Porsche 964 Carrera (1989-1994) auf eine Straße einbiegen sah. Als er beschleunigte, fuhr ein motorisierter Spoiler aus der Heckklappe heraus. Für einen jungen Sportwagenfan war das das Coolste, was ich je gesehen hatte. Ich war so fasziniert, dass ich am nächsten Tag mit dem Fahrrad zum nächsten Kiosk fuhr. Das war noch lange vor der Erfindung des Smartphones, also musste ich mir eine Zeitschrift kaufen, um mehr darüber herauszufinden.

Der ausfahrbare Heckspoiler war bei den Modellen 964 Carrera 2 und Carrera 4 Standard. Der Spoiler wurde so konstruiert, dass er bei 80 km/h ausfährt und unterhalb 10 km/h wieder einfährt. Auf diese Weise wollte Porsche das Design im Stand unangetastet lassen. Im ausgefahrenen Zustand erhöhte der Spoiler den Abtrieb am Heck und verbesserte so die Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten. Doch das erste Porsche Active Aerodynamic Bauteil hatte noch einen weiteren Trick in petto: Es verdoppelte sich die Luftmenge, die in den Motorraum strömte. Das sorgte für eine effizientere Kühlung.

Ab 1990 ließ sich der Heckspoiler des 964 Carrera auch manuell betätigen

Bei den Modellen ab 1990 fügte Porsche außerdem einen Schalter auf der Mittelkonsole hinzu, mit dem der Fahrer den Spoiler manuell bedienen konnte. Diese Konfiguration war für mehrere Jahrzehnte das einzige aktive Aerodynamiksystem von Porsche. Denn der versenkbare Heckspoiler ist bis heute eine Grundausstattung aller Porsche 911 Carreras geblieben. Ausnahmen waren Fahrzeuge mit Sonderausstattungen wie Werks-Aerokit oder Sondermodelle vom Schlage Sport Classic, etc. Auch der neueste Porsche 992 GT3 Touring hat den dezenten versenkbaren Heckspoiler. Obwohl er in einem steileren Winkel ausfährt als der des Carrera.

Auch andere Modelle sind ebenfalls verschiedenen Varianten des ausfahrbaren Heckspoilers ausgestattet. Cayman, Boxster, Panamara, Taycan und sogar der Cayenne nutzen diese Technik. Da die Autos seit der Einführung des 964 erheblich schneller geworden sind, haben sich auch die Geschwindigkeiten geändert, bei denen die Spoiler aus- und eingefahren werden. Bei den neuen Modellen iliegen die Schwellwerte bei 121 und 60 km/h.

Porsche Active Aerodynamics – Von der Rennstrecke auf die Straße – 991 Turbo (2014-2019)

Porsche Active Aerodynamics (PAA) als Markenname wurde allerdings erst vor etwas über zehn Jahren eingeführt. Mit dem Porsche 991 Turbo und Turbo S ging Porsche 2014 aerodynamisch ganz neue Wege. Laut Dr. Wiegand bestand das Ziel von PAA darin, den Luftwiderstand zu verringern und gleichzeitig mehr Abtrieb zu erzeugen. Keine leichte Aufgabe für die Porsche-Ingenieure. Das im 991 umgesetzte Konzept hat drei Funktionsstufen (Start, Speed, Performance). Sie bieten unterschiedliche Konfigurationen zwischen Front- und Heckspoiler, um die jeweils bestmöglichen Fahreigenschaften zu bieten.

Der Porsche 991 Turbo hat an der Frontschürze eine Spoilerlippe aus einem flexiblen Elastomer. Dieses gummiartige Material lässt sich einerseits flexibel strecken, nimmt danach aber seine ursprüngliche Form wieder an. Dieser äußere Teil des Frontspoilers fährt nach unten aus, sobald 121 km/h erreicht sind. Gleiches gilt für den oberen Teil des ausfahrbaren Heckspoilers. Beide arbeiten dabei immer in Abhängigkeit voneinander, um die aerodynamische Balance zu gewährleisten. Es war das erste Mal, dass diese Technologie bei einem Straßenfahrzeug zum Einsatz kam. Es gibt drei verschiedene Modi der Porsche Active Aerodynamics im 991 Turbo (S):



Aerodynamische Evolution im Supersportwagen – 918 Spyder (2013-2015) 

Der Porsche 918 Spyder hat ähnliche aerodynamische Optionen wie der 991 Turbo. Sie heißen Start, Speed und Performance. Aber zum ersten Mal bei einem Straßenauto hat Porsche verstellbare Luftklappen am vorderen Unterboden des Spyder eingebaut. Sie öffnen sich, sobald der „Performance“-Modus gewählt wird. Die Lufteinlässe leiten die Luft durch die Kanäle des Unterboden-Diffusors und erzeugen einen Bereich mit niedrigerem Luftdruck unter dem Fahrzeug. Der Effekt ist umgekehrt zu dem eines Flugzeugflügels und erzeugt dadurch Abtrieb statt Auftrieb. Im Performance-Modus wird der Heckflügel auf einen aggressiveren Winkel eingestellt und der kleine Spoiler an der Hinterkante des Flügels ausgefahren. Beides erhöht den Anpressdruck am Heck.

In der Einstellung „Speed“ ändert sich der Winkel des Heckflügels geringfügig. Das erhält einerseits den Abtrieb und verringert den Luftwiderstand bei höheren Geschwindigkeiten. Der Spoiler bleibt dabei ausgefahren, aber die Unterbodenklappen werden geschlossen. So erhöht sich die Stabilität bei höheren Geschwindigkeiten. Im „Start“-Modus werden der Heckflügel und der Spoiler eingefahren sowie die Unterbodenklappen geschlossen. Diese Einstellung bietet den geringsten Luftwiderstand von allen.

Das Porsche Active Aerodynamics System des 918 Spyder funktioniert in Kombination mit den Hybrid-Fahrmodi. Unter den Scheinwerfern befindet sich zum Beispiel ein zweiter Satz verstellbarer Lufteinlässe. Sie dienen der Kühlung und sind im Modus „Race Hybrid“ oder „Sport Hybrid“ immer geöffnet. Im „E-Power“- und „Hybrid“-Modus werden sie jedoch geschlossen, um den Luftwiderstand zu verringern. Sie öffnen sich erst wieder, wenn 130 km/h erreicht werden oder zusätzlicher Kühlungsbedarf festgestellt wird.

Die neue Benchmark – Porsche 992 Turbo (ab 2020) 

Mit dem Porsche 992 Turbo und Turbo S legten die Zuffenhausener bei der Aerodynamik nochmal nach. „Kein anderer Sportwagen reagiert auf unterschiedliche Situationen mit einer solchen aerodynamischen Flexibilität wie der neue 911 Turbo S“, sagte Dr. Wiegand bei der Präsentation. Das Flaggschiff der Baureihe 992 glänzt seither mit acht unterschiedlichen Konfigurationen des PAA. Besonders effektiv ist dabei die neue Airbrake. Bei einer Vollbremsung hebt sich nicht nur der Heckflügel in seine aggressivste Stellung sondern es fährt auch der Frontspoiler in seine tiefste Stellung. Auf diese Weise wird so viel Widerstand wie möglich erzeugt, um das Auto abzubremsen.

Die Modi „Performance 2“ und „Wet“ waren ebenfalls neu im PAA-Repertoire. „Performance 2“ schmiegt sich zwischen „Performance 1“ und „Speed“ und ist eine Mischung aus beiden Funktionen. Sie unterstützt die Stabilität bei Geschwindigkeiten ab 257 km/h. „Performance 2“ reduziert allerdings etwas den Abtrieb. Wenn Nässe erkannt wird (in jedem Modus), hebt sich der Heckspoiler an, neigt sich allerdings nicht.

Formel-1-Technologie für Spitzenleistung auf der Rennstrecke – PAA im Porsche 992 GT3 RS

Porsches aktueller 992 GT3 RS bietet zweifelsohne das fortschrittlichste Aero-Kit, das Porsche Active Aerodynamics zu bieten hat. Überraschenderweise hatte bislang kein GT3 RS vor ihm aktive Aerodynamik an Bord. Für den 992 GT3 RS verbrauchen die Ingenieure allerdings über 250 Stunden im Windtunnel. Das Ergebnis: Bei 285 km/h erzeugt der Rennsportelfer sage und schreibe 860 kg Abtrieb. Dieser Wert ist doppelt so hoch wie bei seinem Vorgänger, dem 991.2 GT3 RS. Seinen „zahmeren“ Bruder vom Typ 992 GT3 überflügelt er sogar um den Faktor drei!

Bei 285 km/h erzeugt der Porsche 992 GT3 R sage und schreibe 860 kg Abtrieb – doppelt so viel wie sein Vorgänger.

Das Porsche Active Aerodynamics System im 992 GT3 RS reagiert in Abhängigkeit von Geschwindigkeit, Querbeschleunigung, Lenkwinkel und gewähltem Fahrmodus. Je nach Fahrzustand kann der stufenlos verstellbare Frontspoiler genauso reguliert werden, wie der riesige aktive, zweiteilige Heckflügel mit Schwanenhals-Aufnahme. Er ist höher als die Dachlinie des Autos und passt sich automatisch in mehreren Stufen an, um den Fahrer und das Auto auf jede mögliche Situation vorzubereiten.

Porsche hat sich für einen zentralen Kühler entschieden, um den Luftstrom zu optimieren

Porsche wählte beim 992 GT3 RS eine Lösung mit einem mittig angeordneten Kühler wie beim 911 GT3 R. Den frei gewordenen Platz nutzten Porsches Ingenieure für verstellbare Lufteinlässe. Sie leiten die Luft durch die vorderen Kotflügelschlitze und die neuen Öffnungen vor den Türen. Dieser schnelle Luftaustritt erzeugt einen Unterdruck an der Fahrzeugfront und damit Abtrieb. Auch die aus dem Turbo bekannte Airbrake-Funktion implementierte Porsches Active Aerodyanmics Abteilung.

Porsches Ingenieure verbrachten über 250 Stunden im Windkanal, um die aktive Aerodynamik des 992 GT3 RS abzustimmen.

Eine weitere Premiere war der Einsatz eines Drag-Reduction-Systems (DRS) in einem Porsche-Serienfahrzeug. Ja, DRS wie in der Formel 1. Wenn DRS aktiviert ist, wird der Flügel des 992 GT3 RS flacher und die vorderen Diffusoren öffnen sich. So reduziert sich der Abtrieb an Vorder- und Hinterachse gleichmäßig und ermöglicht schnellere Beschleunigung. Es wird automatisch aktiviert, sobald 100 km/h erreicht sind, die Drehzahl über 5.500 U/min liegt, weniger als 0,9 G Querbeschleunigung anliegen und die Drosselklappe mindestens 95 Prozent geöffnet ist. Bei minimalem Lenkeinschlag und Vollgas kann es auch händisch am Lenkrad ausgelöst werden.

DRS wird in der Regel auf langen Geraden eingesetzt, um maximale Beschleunigungswerte zu ermöglichen. Die Höchstgeschwindigkeit des GT3 RS bleibt mit 296 km/h trotzdem niedriger als beim 992 GT3. Er beschleunigt bis auf 318 km/h. Grund dafür ist der größere Luftwiderstand durch den erhöhten Abtrieb und mehr Stirnfläche sowie eine kürzere Getriebeübersetzung.

Die Zukunft von Porsche Active Aerodynamics

Mit der Einführung des 992 Turbo und des GT3 RS hat Porsche die aktive Aero-Skala deutlich verschoben. Es wird interessant sein zu sehen, in welchen Bereichen sie sich noch weiter verbessern können. Aber wie die Geschichte gezeigt hat, werden die Ingenieure von Porsche auch weiterhin an neue Grenzen stoßen und eine neue Messlatte setzen, an der sich alle anderen orientieren können. Wir sind gespannt, was als Nächstes kommt, und werden die verschiedenen Porsche-Werksrennwagen und die Formel 1 auf mögliche Hinweise hin beobachten.

© Bilder: Porsche AG, falls nicht anders gekennzeichnet

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